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Buddenbrooks

»Ich habe meiner jüngsten Tochter eine Police von 150 Courant-Talern ausgeschrieben. Führe du sie, ach Herr! auf deinen Wegen, und schenke du ihr ein reines Herz, auf daß sie einstmals eingehe in die Wohnungen des ewigen Friedens. Denn wir wissen wohl, wie schwer es sei, von ganzer Seele zu glauben, daß der ganze liebe süße Jesus mein sei, weil unser irdisches kleines schwaches Herz...« Nach drei Seiten schrieb der Konsul ein »Amen«, allein die Feder glitt weiter, sie glitt mit feinem Geräusch noch über manches Blatt, sie schrieb von der köstlichen Quelle, die den müden Wandersmann labt, von des Seligmachers heiligen, bluttriefenden Wunden, vom engen und vom breiten Wege und von Gottes großer Herrlichkeit. Es kann nicht geleugnet werden, daß der Konsul nach diesem oder jenem Satze die Neigung verspürte, es nun genug sein zu lassen, die Feder fortzulegen, hinein zu seiner Gattin  zu gehen (die gerade entbunden hatte; Anm. v. mir) oder sich ins Comptoir zu begeben. Wie aber! Wurde er es so bald müde, sich mit seinem Schöpfer und Erhalter zu bereden? Welch ein Raub an Ihm, dem Herrn, schon jetzt einzuhalten mit Schreiben... Nein, nein, als Züchtigung gerade für sein unfrommes Gelüste zitierte er noch längere Abschnitte aus den heiligen Schriften, betete für seine Eltern, seine Frau, seine Kinder und sich selbst, betete auch für seinen Bruder Gotthold, - und endlich, nach einem letzten Bibelspruch und einem letzten, dreimaligen Amen, streute er Goldsand auf die Schrift und lehnte sich aufatmend zurück.
(a.a.O., S.52)

Lit.:
Mann, T.: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Frankfurt am Main 19605.

Rituale sind fast so mächtige Kontrollinstanzen wie die Gemeinschaft eines Dorfes.

Hermine sagt: Da die, ... pavor nocturnus ..., bestimmt ...

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