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Attraktives schwarzes Loch ohne Strahlung

„Erquickend. Wonnig. Auch irgendwie beruhigend“. - So sprach ich in meinem Kommentar, nachdem ich den entsprechenden Artikel dazu(!) gelesen hatte. Und ich empfinde es immer noch so; das rührt wohl daher, weil ich den erwähnten Artikel meine sehr wohl zu verstehen. (Wohlgemerkt, ich denke nicht den Autor des Artikels zu verstehen – den Artikel.) Das macht das attraktive schwarze Loch ohne Strahlung – das Internet (die Blogosphäre!?); aber auch das Buch!? - aus: Projektionsfläche für die eigenen Gedanken und Gefühle; deswegen ist es so attraktiv, sprich anziehend.

Nur, Attraktivität ist nicht per se etwas Gutes – sie birgt ein gewisses Gefahrenmoment für jene, die ihr allzu nahe kommen (wollen).

Nun kommen naturgemäß solche Internet-Teilnehmer an, die sagen: Papperlapapp; ich habe mein Sendungs-Bewusstsein, gar meinen Sendungs-Auftrag, und wenn ich etwas sagen will, dann haue ich das raus; und das geht so: Blog zusammenbauen (schön soll es sein und „etwas können“); wie ist das mit den Trackbacks und der Technik insgesamt, auf dass mich die Leute auch wahrnehmen; thematischen Standpunkt eruieren, raus mit. - Die Praktiker eben.

Ich mutmaße (und verkürze vermutlich und tue unrecht), dem Praktiker wird sich die „tiefer gehende“ Attraktivität des Internets nicht eröffnen. - Der lyrische Internet-in-Anspruch-Nehmer wird das Gefahrenmoment des Internets eher zu empfinden meinen.

So ein lyrisch veranlagter Blogger ist hin und her gerissen: Sie oder er muss sich ausdrücken und mitteilen, sonst würde es zu Lasten (der psychischen Gesundheit) dieses, insofern hochmotivierten, Menschen gehen. Auch bietet das Internet gleichzeitig Rahmenbedingungen, die es diesem Menschen erlauben „unbegrenzt loszuwerden“. „Unbegrenzt“ ist wichtig. Ja, das kann soweit gehen, dass es zum therapeutischen Loslassen kommt (hier ist das Internet jedoch meiner Meinung nach nur eher begrenzt kapabel).

Und das drückt für mich der erwähnte Artikel aus: Wenn ich mich im Internet (Blog) „unbegrenzt“ ausdrücken will, dann heißt das selbstverständlich, ich will mich nicht festlegen lassen (nicht schon wieder, so wie in der Realität), ich will mich nicht schnappen lassen; ich will mich vor allen Dingen keinem (inhaltlichen, technischen, stilistischen) Druck aussetzen. Ich, als lyrisch veranlagter Blogger, will kein Bild auf mich projizieren lassen (vgl.o.) - dem ich mich dann in irgendeiner Form verpflichtet fühlen müsste: Ich will (schließlich) unbegrenzt loswerden!

Qua seines ausdrücklichen Defätismus stellt für mich der erwähnte Artikel einen besonders schönen (Ruf nach) Schutz vor dieser verhassten Begrenzung dar (Mein persönliches Schutz-Patent). Dass die kleine Begleiterin eines solchen (zur Schau getragenen) Defätismus die Koketterie ist, ist auch irgendwo klar.

Jetzt wird das Ganze etwas paradox, aber auch schön (denn es wird zeigen, warum für mich das Wichtige am Internet-Dasein das Virtuelle ist):

Je freier von allen Festlegungen jemand bloggt, desto authentischer wird naturgemäß das Bild sein, dass wir von dem Menschen hinter dem Blogger erhalten.

Das heißt, die ursprüngliche Intention des sich nicht festlegen Lassens (sich nicht schnappen lassen; nichts auf sich projizieren lassen) trägt in der Konsequenz bereits das enantiodromische Element in sich: Der Mensch hinter dem Bild wird umso klarer, schärfer, authentischer. (Ich vermute, dass der Autor des nun schon mehrfach erwähnten Artikels genau diese Spannung in sich gespürt haben wird – daher lässt sich für mich auch die „Inbrunst“ des Artikels erklären.)

Verkehrt finde ich persönlich das alles nicht: Es ist dem Gedanken der Welle, etwas Substanzielles zu hinterlassen und so sein Leben über den Tod hinaus zu verlängern, förderlich. - Und letzten Endes weiß es niemand in diesem attraktiven schwarzen Loch ohne Strahlung: was ist so und was hat nur den Anschein (oben erwähnte „Praktiker“ (Techniker, Technokraten, Polit-Blogger, u.dgl.) seien hier mal ausgenommen).

Peter Hilgeland prägt in diesem Zusammenhang hier den Begriff der „virtuellen Visitenkarte“. Und hier den Begriff „virtuelle Reizgeneralisierung“.

Die Vorstellung der „virtuellen Visitenkarte“ dürfte jedem klar sein, sie ist sehr aussagekräftig. Meine persönliche Betonung liegt hier auf dem Virtuellen; wenn man sich immer wieder aufs Neue des Virtuellen dieses attraktiven schwarzen Lochs ohne Strahlung gewahr ist, schützt es davor zu viel von sich preiszugeben – also ruhig begrenzen beziehungsweise festlegen lassen; aber auch und vor allem: spielen, kreativ sein, sich ausprobieren - (falsche Fährten legen!?).

Unter dem Begriff der „virtuellen Reizgeneralisierung“ verstehe ich wiederum das Scheitern dieses Vorsatzes, dann werden nämlich die Eindrücke aus dem Internet vollkommen überbewertet, eben generalisiert - nebst den entsprechenden (schädlichen) Folgen.

Zum Schluß: Ich fand und finde den Artikel wonnig geschrieben. Das ist doch alles halb so wild, es interessiert mich nicht, ihr könnt mir nichts wollen – diese frische Art, das ist gleichzeitig erquickend. Dass andere das auch so sehen und es einfach mal so raushauen (ohne Rücksicht auf Verluste), so etwas ist für mich beruhigend – es geht also (auch andere zu respektierende Menschen können das einfach so machen und machen es). - Wie Peter Hilgeland bereits schrieb: Es wäre ein Sakrileg gewesen ihn nicht zu zeigen.

Hermine sagt: Salat mit Mozzarella und Schnickschnack gibt’s heute.

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