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Echolot-Zitat II

Ein Eintrag vom Mittwoch, 10.Dezember 1941
Sophie Scholl 1921-1943 Blumberg
An Otl Aicher
Du hast doch einmal in dem 1.(oder letzten) Windlicht geschrieben, die Natur sei ein Schemel für den Menschen, um zu Gott zu gelangen, und würde, wenn sie ihren Zweck erfüllt hätte, wieder ins Nichts versinken. Das fällt mir gerade ein, wie mein Blick durchs Fenster auf den gegenüberliegenden Berg fällt mit den leicht verschneiten Feldern und dem winterlichen Himmel hinter dem kahlen Wald. Ich finde es traurig, daß dieses alles einmal nicht mehr sein soll, ich finde es unvorstellbar. Wenn es doch schön und gut ist, warum soll es dann einmal nicht mehr sein? Ich freue mich jeden Morgen an der reinen Luft und dem Himmel, in dem noch Mond und Sterne schwimmen, und wenn es anfänglich auch eine ungerechte Freude ist, weil ich mich vielleicht manchmal berauschen kann, so wird sie doch gut, da sie mir wieder einen richtigen Maßstab gibt (das ist dann wieder traurig für mich, aber ich bin doch froh, denn sonst würde ich doch leicht das Wesentliche übersehen). - Ich finde es fürchterlich, wenn man etwas schafft und es nachher dem Nichts wieder gibt. Und Bäume und Blumen und Tiere sind doch auch geschaffen und haben einen Hauch von Geist.
Findest Du eigentlich den Satz in dem Büchlein «Der verborgene Gott» logisch: «Das Nichts ist von Gott erschaffen.» Dann ist es doch schon etwas, wenn es Sein hat und geschaffen wurde. Ich glaube, man darf sich das Nichts nicht vorstellen wollen. Das ist ja auf Grund seines Namens und Sinnes unmöglich. Das ist sehr schwierig für mich, weil ich mir alles gerne vorstelle. Aber das nur nebenbei. Wer ist eigentlich Nikolaus von Kues?
Ich merke, daß man mit dem Geiste (oder dem Verstand) wuchern kann, und daß die Seele dabei verhungern kann. Daran habe ich früher nicht gedacht.
(a.a.O., S.382)

Lit.:
Kempowski, W.: Das Echolot. Barbarossa ´41. Ein kollektives Tagebuch. München 20024.

Hermine sagt: Bitte sehr.

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